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In Alltagsgeschichten

Kinderselberschreiberei

So langsam nimmt sie ein Ende, diese allerliebste Kinderselberschreiberei der besonderen Art. Wenn meine Kinder wie seit bald einem ganzen Jahr ihrer großen Schwester die inzwischen traditionelle Elsa-Beskow-Monatskarte schreiben, habe ich sie zwar begleitet, sie aber doch im Großen und Ganzen frei und freudig buchstabeln lassen, ganz nach ihrer eigenen Weise. Wir haben immer mal wieder einzelne Worte langsam und deutlich zusammen gesprochen, darauf geachtet, wie sich der Mund dabei formt, gelauscht, welche Buchstaben zu hören sind und doch hören und interpretieren Kinder oft ganz anders als wir Erwachsene, die schon seit langer Zeit Übung und ein Gespür für Schrift und Rechtschreibung haben…
Wir wissen, dass das Wort Eier mit Ei beginnt – Kinder hören und schreiben es aber vielleicht anders, nämlich so: Ajo.
Das war für mich immer in Ordnung, denn ein Kind braucht doch erst einmal Zeit in dieser ihnen noch unbekannten Welt – Zeit, all die Buchstaben erst einmal zu entdecken und kennen zu lernen, jedes Kind in seinem eigenen Tempo (unsere große Tochter hat schon im Kindergartenalter meine Einkaufszettel geschrieben, weil sie das unbedingt wollte und ganz sehr neugierig auf Buchstaben war).

Vor einiger Zeit habe ich einmal eine etwas besorgte Email (mit leiser Kritik zwischen den Zeilen) bekommen, warum meine Kinder denn in der zweiten Klasse noch „so“ schreiben würden usw. Das mag für den ein oder anderen womöglich wirklich besorgniserregend oder zumindest irritierend sein, aber wir haben ja zum Glück schon große Kinder, die ihre Schulzeit längst beendet haben, einen Beruf haben, bzw. studieren und so habe ich Vertrauen, dass auch unsere beiden Jüngsten das Schreiben und Lesen irgendwann einmal beherrschen werden. Die Waldorfschule wird leider oft zu Unrecht kritisiert, meist aus Unwissenheit. Das finde ich sehr schade.

In der Waldorfschule entsteht das Lesen wie auch an anderen Schulen aus dem Schreiben heraus, Waldorfkinder lernen die Buchstaben aber eher gemächlich und das in ganz besonderer (künstlerischer) Weise erst einmal in Verbindung mit dem so genannte Formenzeichnen – nach anfänglich großen und einfachen Schwingübungen mit Wachsmalblöckchen, angefangen mit der Geraden und der Krummen auf großen Papierbögen, folgen kleinere und schwierigere Formen bis hin zu den Buchstaben. Einzelne Buchstaben werden nach und nach in Bildern mit der jeweiligen Form und ihrem Klang verknüpft, so entsteht für das Kind ein verständliches Ganzes. Ich erinnere mich noch gut an ein Bild meiner Tochter im Schulheft der ersten Klasse, als sie den Buchstaben K kennen gelernt haben – sie hat einen König in ihr Schulheft gemalt (inspiriert vom Tafelbild der Lehrerin) und der Buchstabe K war in diesem König deutlich erkennbar: Der obere schräge Strich war im Arm des Königs versteckt, der nach oben deutet, der untere Strich im Bein, mit dem er nach vorne marschiert und so war der Buchstabe nicht mehr einfach nur ein abstrakter Buchstabe, er hatte eine mit dem Bild verbundene Form samt Klang. Bis heute sehe ich dieses K in diesem Königsbild, so einprägsam war es für mich und mit den übrigen Buchstaben war es ebenso. Wenn meine Buben nun anfangs beim Schreiben unsicher waren, welcher Buchstabe es sein soll, haben sie mich z.B. gefragt „ist das die „Schlange“? (→S). Das B haben sie sich übrigens selbst hergeleitet und erklärt – es ist ein Busen (sieht man doch 😉

Kinder an Waldorfschulen haben (meines Wissens) für das Schreiben- und Lesen lernen wesentlich mehr Zeit als das an staatlichen Schulen der Fall ist und ich finde das überhaupt nicht nachteilig oder gar tragisch und besorgniserregend. Ganz im Gegenteil, es ist gut, wenn sich Kinder mit diesem Buchstabensalat erst einmal ohne Eile anfreunden dürfen, denn in 10 Jahren spielt es doch ohnehin keine Rolle mehr, wie viel Zeit ein Kind dafür gebraucht hat. In der Erziehungskunst gibt es zu diesem Thema auch immer wieder lesenswerte Beiträge – HIER z.B.

Die monatliche Postkarte an die große Schwester war für uns jedenfalls eine wunderbare Möglichkeit, den Buchstabensalat zu kosten und nun beobachte ich, wie sich alles ganz von alleine regelt – anfangs haben meine Kinder einfach und ganz unbedarft drauf los geschrieben, nun fragen sie immer öfter, ob es so richtig ist oder ob da nun ein F oder vielleicht doch ein V im Wort ist und wenn sie mich fragen, bekommen sie natürlich eine Antwort.

Beim Schreiben der August-Postkarte war das offensichtlich noch nicht so wichtig, wie man unschwer erkennen kann (ein Buchstabe wurde sogar mal ganz verschluckt im Schreibeeifer)

 

Und weil mir bewusst ist, dass sich der Buchstabensalat nun wohl mehr und mehr ordnen wird und ich das als Mama so zum letzten Mal auskoste (amüsant ist es doch auch), versuche ich, diese wunderbaren Schreibkünste hier und da zu konservieren. Die Postkarten sind gut bei der großen Schwester aufgehoben und ich habe in den Sommerferien meine Gewürzschublade geputzt, neue Gläser besorgt und diese von meinen beiden Schreiberlingen beschriften lassen:

Libschdögl ist ab sofort mein absolutes Lieblingsgewürz!!!

Michèle ♥

Profilbild, Michèle Brunnmeier, Fotograf, Bietigheim-Bissingen, Ludwigsburg

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